Berliner "Raser-Fall" wieder vor dem BGH
Muss Mord-Urteil erneut aufgehoben werden?
Begeht einen Mord, wer mit weit überhöhter Geschwindigkeit durch die Stadt rast und dabei einen Menschen tötet? Das ist eine legitime Frage, die der Bundesgerichtshof aber erneut nicht beantworten wird, weil er sie nicht beantworten kann. Im "Berliner Raser-Fall" hatte das Landgericht zwei junge Männer im März 2019 wegen Mordes verurteilt. Bereits zum zweiten Mal. Das erste Urteil aus dem Jahr 2017 hatte der Bundesgerichtshof als rechtsfehlerhaft aufgehoben. Und auch der zweite Versuch des Berliner Landgerichts könnte misslungen sein. Eine Verurteilung wegen Mordes kommt nach deutschem Strafrecht nur dann in Betracht, wenn der Täter den Tod des Opfers als mögliche Folge jedenfalls hinnimmt. Auch Strafrichter können in den Kopf eines Angeklagten nicht hineinschauen. Sie sind aber gefordert, es bestmöglich zu versuchen, sprich: die vorhandenen Indizien lückenlos auszuwerten – stets nachvollziehbar und widerspruchsfrei. Die Latte liegt hoch. Und das Landgericht Berlin hat sie vielleicht zum zweiten Mal gerissen. In der BGH-Verhandlung vom 23. April 2020 hinterfragte die Senatsvorsitzende Beate Sost-Scheible drei Dinge besonders kritisch: Hat das Landgericht fehlerfrei die hohe Eigengefährdung des Unfallfahrers Hamdi H. berücksichtigt, der ohne Gurt unterwegs war und mit der Möglichkeit eines schweren Unfalls dann vielleicht auch seinen eigenen Tod hätte akzeptieren müssen? Und passt ein solches Hinnehmen eines eventuell katastrophalen Unfallszenarios zum vom Landgericht festgestellten Drang des Angeklagten, vor seinen Freunden unbedingt als siegreicher Held glänzen zu wollen? Insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass es sich bei Hamdi H. nach Überzeugung des Landgerichts um eine Person handelt, die sich selbst quasi-übernatürliche Fähigkeiten zuschreibt, so etwa das kilometerweite Vorausschauen im Straßenverkehr? Dr. Judith Bellay, Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof, zeigt sich überzeugt, dass das Landgericht Berlin den Tötungsvorsatz des Hamdi H. rechtsfehlerfrei festgestellt hat. Ob sich der Bundesgerichtshof diese Auffassung auch noch zu eigen machen wird, bleibt abzuwarten. Weshalb der BGH jedenfalls nicht entscheiden wird, ob "Todesraser" "Mörder" sind, erklärt Rechtsanwalt Stefan Conen, Verteidiger von Hamdi H. Nicht normal genug, um das tödliche Potential von 170 km/h in der Innenstadt realistisch zu erfassen? Zu normal für eine verminderte Schuldfähigkeit? Der "Berliner Raser-Fall" macht einmal mehr sprachlos. Und verdeutlicht vielleicht auch die Grenzen des Strafrechts beim Streben nach "Gerechtigkeit".