Sittenwidrige Schädigung der Kunden?
Erste BGH-Verhandlung im Volkswagen-Dieselskandal
Im September 2015 erschütterte der Dieselskandal die Republik – im Mai 2020 findet die erste Verhandlung vor dem Bundesgerichtshof statt. Herbert Gilbert aus dem rheinland-pfälzischen Gebroth hatte im Januar 2014 einen VW Sharan mit einem Dieselmotor des Typs EA 189 erworben. Dieser war - nach dem Sprachgebrauch des Volkswagen-Konzerns - vom Hersteller einer "innermotorischen Maßnahme" unterworfen worden. Auch bekannt als "unzulässige Abschalteinrichtung", die im normalen Fahrtbetrieb Teile der Abgaskontrollanlage außer Betrieb setzte. Der von VW beworbene geringe Stickoxid-Ausstoß war nur auf dem Prüfstand Realität. Das Kraftfahrtbundesamt hätte Herbert Gilberts Sharan also gar keine Betriebserlaubnis erteilen dürfen. Zur juristischen Bewältigung solcher Fälle findet sich im BGB Paragraph 826 mit der klangvollen Bezeichnung "Sittenwidrige vorsätzliche Schädigung". "Sittenwidrig" ist eine Schädigung dann, wenn sie gegen das "Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden" verstößt. Sie muss "in besonderem Maße verwerflich" sein. Eine solche "besondere Verwerflichkeit" auf Seiten der Volkswagen AG hatte das Oberlandesgericht Koblenz zu Gunsten des Klägers Gilbert angenommen. Der Bundesgerichtshof hat in seiner Verhandlung vom 5. Mai 2020 erkennen lassen, dass er dies wohl auch so sieht und VW zur Rücknahme des Fahrzeugs verpflichtet sein dürfte. Eine anspruchsvolle Ausgangslage für VW-Anwalt Reiner Hall, der den Senat zu überzeugen suchte, dass der Kläger durch den Kauf des Kraftfahrzeugs gar nicht geschädigt worden sei. Denn die Stilllegung des Fahrzeugs habe tatsächlich nie gedroht. Es sei schließlich in keinem Zeitpunkt fraglich gewesen, dass der Mangel durch ein Software-Update behoben werden könne. Geschädigtenanwalt Claus Goldenstein hält dies für gänzlich irrelevant. Auch der VI. Zivilsenat des BGH hat in der mündlichen Verhandlung deutliche Sympathie für die Rechtsauffassung der Vorinstanz gezeigt, nach welcher der Schaden des Klägers bereits per se im Erwerb eines Automobils liege, dessen Straßenverkehrszulassung der Hersteller durch Manipulation erschlichen habe. Der Käufer werde dadurch zwangsläufig belastet. Gilbert betont, dass gerade auch seine Erwartung eines besonders schadstoffarmen Fahrzeugs massiv enttäuscht worden sei. Für die Volkswagen AG dürfte der Verlauf der Verhandlung absehbar gewesen sein, nicht umsonst hatte man sich bislang erfolgreich bemüht, eine höchstrichterliche Entscheidung durch Prozessvergleiche abzuwenden. Jedoch hatte auch VW-Anwältin de Lind von Wijngaarden für ihre Mandantin insoweit gute Nachricht, als VW bei einer Rückerstattung des Kaufpreises voraussichtlich Abzüge für die Fahrzeugnutzung durch den Kläger machen darf. Ach ja, und schlechte Nachrichten natürlich für alle Dieselgate-Betroffenen, die noch nicht an einem VW-Prozess beteiligt sind. Alle Ansprüche verjährt. Jedenfalls nach der Rechtsauffassung des Volkswagen-Konzerns. Andere sagen, jetzt gehe es erst richtig los. Dann nämlich, wenn sich der Europäische Gerichtshof der Einschätzung seiner Generalanwältin Eleanor Sharpston anschließen sollte. Diese hat am 30. April 2020 ein Gutachten vorgelegt, nach dem die Konstruktion des VW-Motors EA 189 auch mit Software-Update gegen EU-Recht verstoße: wegen einer - unzulässigen Abschalteinrichtung.