Libyen-Konferenz Berlin
Der zerbrochene Staat, die Wölfe und das Völkerrecht
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Das Völkerrecht ist ein eigenes Rechtsgebiet, gleich dem Arbeitsrecht, dem Familienrecht und vielen mehr. Der deutsche Begriff "Völkerrecht" ist eigentlich etwas irreführend, der englische Ausdruck "international law" – internationales Recht - bringt es besser auf den Punkt. Es geht weniger um das Recht der Völker sondern um die Rechte der Staaten und auch Staatenverbünde wie etwa die UNO oder die NATO es sind. Nahezu alle Staaten sind in ein enges Geflecht rechtlicher Regelungen eingebunden, durchaus vergleichbar den Rechtsnormen, denen Herr X und Herr Y in ihren privaten und geschäftlichen Angelegenheiten unterworfen sind. Und doch hat das Völkerrecht eine spezielle Eigenart, die es von allen anderen Rechtsgebieten unterscheidet: Seine Durchsetzung kann häufig nicht erzwungen werden. Es gibt eben nicht den ”Weltgerichtsvollzieher“, den Staat A bei Staat B vorbeischicken kann, wenn der mal wieder mit ein paar Milliarden in Verzug gerät. Dies schränkt die rechtliche Verpflichtung des Staates zur Einhaltung seiner gegebenen Zusage jedoch in keiner Weise ein.
Die Berliner Libyen-Konferenz vom 19. Januar 2020 bietet die aktuelle Gelegenheit, für ein internationales Politik-Ereignis nach den Verpflichtungen zu fragen, die das Völkerrecht den beteiligten Staaten auferlegt. Wenn das Völkerrecht auch noch so oft gebrochen wird – von Seiten der Staaten wird sehr viel daran gesetzt, das jeweils eigene Verhalten als rechtmäßig darzustellen. Gibt es im Libyen-Konflikt also eine Rechtslage, die eine Seite zur eigenen Rechtfertigung heranziehen könnte?
Faktisch unterstützt durch einen internationalen Militäreinsatz hatten Aufständische im Jahr 2011 das Regime von Muammar al-Gaddafi gestürzt. Nach zwei Übergangsregierungen fanden im Sommer 2014 Parlamentswahlen statt. Aus diesen Wahlen gingen säkulare Kräfte als Sieger hervor, die jedoch kurz darauf von putschenden Islamisten aus Tripolis in den Osten des Landes vertrieben wurden. Seitdem herrscht Bürgerkrieg, den ein von der UNO im Dezember 2015 vermitteltes Abkommen zwischen den Konfliktparteien bislang nicht beenden konnte. Dieses Abkommen sieht die Bildung einer "Regierung der nationalen Übereinkunft" unter dem ehemaligen Architekten Fayez Al-Sarraj vor. Das im marokkanischen Skhirat unterzeichnete Abkommen wird vom starken Mann aus Ostlibyen, General Chalifa Haftar, jedoch nicht akzeptiert. Besondere Brisanz trägt die Einmischung von außen in den libyschen Bürgerkrieg hinein: Die Türkei und Katar auf Seiten der "Einheitsregierung" des Fayez Al-Sarraj; Russland, Ägypten und die Vereinigten Arabischen Emirate auf Seiten Chalifa Haftars. Um nur die wichtigsten Akteure zu nennen.
An dieser Stelle ist dem Völkerrecht nun eine bemerkenswerte Rechtsvorschrift zu entnehmen, nämlich Resolution 2259 des UN-Sicherheitsrats vom 23.12.2015. Resolutionen des UN-Sicherheitsrates stellen verbindliches Völkerrecht dar, dass gemäß der UN-Charta von allen Staaten unbedingt einzuhalten ist. Resolution 2259 verpflichtet jeden UN-Mitgliedsstaat dazu, die nationale Einheitsregierung unter Fayez Al-Sarraj im Rahmen seiner Möglichkeiten konstruktiv zu unterstützen und jedwede Förderung innerlibyscher Gegenspieler von Al-Sarraj zu unterlassen. Die Unterstützung Chalifa Haftars durch Russland, Ägypten und die Vereinigten Arabischen Emirate stellt also eine eklatante Verletzung von Resolution 2259 dar. Dass diese Unterstützung auch Militärhilfe umfasst, verstößt überdies gegen das Waffenembargo, das der UN-Sicherheitsrat bereits 2011 gegen Libyen und die dort agierenden Kräfte verhängt hat. Dieser Vorwurf trifft indes auch die Türkei und Katar als Unterstützer der international anerkannten Einheitsregierung von Fayez Al-Sarraj. Nicht von ungefähr beklagt UN-Generalsekretär Antonio Guterres, als er im Anschluss an die Berliner Libyen-Konferenz vor die im Bundeskanzleramt versammelte Presse tritt: "Ich glaube, wir erleben heute etwas, was inakzeptabel ist. Das ist eine beständige Missachtung des Völkerrechts, der Resolutionen des Sicherheitsrates, die nicht geachtet werden. Das geschieht, wie Sie ja selbst nur zu gut wissen. In jüngster Vergangenheit haben wir das in Libyen erlebt. Da ist das geschehen." Dass die Türkei (wie auch Katar) internationales Recht jedenfalls insoweit beachtet als sie - im Prinzip – die nach Resolution 2259 "richtige" Seite unterstützt, wird also im Hinblick auf die gleichzeitige Verletzung des Waffenembargos kaum aus Respekt vor dem Völkerrecht geschehen. Vielmehr dürfte sich Erdogan von Al-Sarraj eine Art "politischen Islam" nach türkischem Vorbild erhoffen.
Soweit die leise Stimme des Völkerrechts auf der Berliner Libyen-Konferenz. Worauf es in der realpolitischen Wirklichkeit des Libyen-Konflikts nun vor allem ankommt, fasste die Bundeskanzlerin nach ihren Gesprächen mit den relevanten Protagonisten so zusammen: "Wir können feststellen, dass alle einig sind, dass wir das Waffenembargo respektieren wollen und dass das Waffenembargo auch stärker kontrolliert wird, als es in der Vergangenheit der Fall war. Denn ansonsten werden wir sehen, dass die militärische Lösung doch nicht ausscheidet und das immer wieder Versuche in diese Richtung gemacht werden. Alle waren sich einig, dass die Dokumente, die wir heute verabschiedet haben, auch im UN-Sicherheitsrat akzeptiert werden müssen, so dass das damit eine offizielle internationale Bestätigung bekommt und die Verpflichtung auf das Waffenembargo damit noch einmal an Bedeutung gewinnt." Tatsächlich dürfte dies der Schlüssel zur Befriedung des gequälten nordafrikanischen Landes sein. Das ständige Befeuern von außen hat den Bürgerkrieg immer wieder aufflammen lassen. Und dem Ruf des Völkerrechts würde es sicherlich guttun, wenn die seit 2011 ergangenen Libyen-Resolutionen des UN-Sicherheitsrats etwas mehr Beachtung fänden.
Credits für die im Video verwendeten Fotos:
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Foto: openDemocracy / Lizenz |
Foto: GovernmentZA / Lizenz |
Foto: Brigitte N. Brantley / Lizenz |
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Foto: Magharebia / Lizenz |
Foto: www.kremlin.ru / Lizenz | Foto: www.kremlin.ru / Lizenz |
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Foto: Casa Rosada Argentina / Lizenz | Foto: Presidencia de la República Mexicana / Lizenz |